Hufrehe und Weidegang

Wer einen Hufrehe-Kandidaten hat, kennt das: Die Unsicherheit, ob und wie man seinem Pferd Weidegang ermöglichen soll. Gar nicht, nur stundenweise, nur mit Maulkorb? Und zu welchen Tageszeiten? Und für was man sich auch entscheidet, die Angst vor einem Reheschub ist immer da.

Grasen mit Fressbremse: Besser als gar nicht raus!
Grasen mit Fressbremse: Besser als gar nicht raus!

Auch wir haben seit letztem Herbst eine solche Risikopatientin. Und für mich kann es nur die allerletzte Lösung sein, ein Pony ganz vom Weidegang mit den Artgenossen auszuschließen. Der Weidegang, also das Grasen mit gesenktem Kopf und das langsame Fortbewegen im Schritt, gehört einfach zu den natürlichsten Verhaltensweisen unserer Pferde. Und wenn es irgendwie geht, ohne die Gesundheit des Pferdes zu gefährden, sollte man meiner Meinung nach diese Verhaltensweisen ermöglichen. Unsere Kleine geht daher nur mit Fressbremse raus, und nur eine Stunde täglich. Nach mehreren Schüben wollten wir einfach kein Risiko mehr eingehen. Sie kommt damit gut klar - die Fressbremse scheint sie überhaupt nicht zu stören und so kann sie mit den beiden anderen gemeinsam ein bisschen Gras knabbern.

Doch auch wenn man dann eine praktikable Lösung gefunden hat, bleibt die Frage: Was passiert in den Risikozeiten? Also im Frühjahr und im Herbst, wenn die Fruktangehalte in die Höhe schießen und die Hufrehegefahr am höchsten ist? Bei welchem Wetter und zu welcher Tageszeit ist es am gefährlichsten?

 

Dazu ein bisschen Theorie vorweg: Die "bösen" Fruktane, die nach derzeitigem Wissensstand Hufrehe auslösen, sind Speicherkohlenhydrate der Pflanze. Sie dienen ihr zur Speicherung von Energie. Darum sind die Fruktankonzentrate bei kaltem und sonnigem Wetter am höchsten: Die Pflanze stellt durch Fotosynthese aus Sonnenlicht Energie her und speichert sie dann in Form von Fruktanen, da sie bei Kälte nicht wachsen kann. Ist es warm genug, werden die Fruktane wieder freigesetzt und in Wachstum umgesetzt. Dabei werden die Fruktane vor allem in den Stängeln der Gräser gespeichert, viel weniger in den Blättern. C.A. Bingold erklärt das auf seiner Infoseite Equivetinfo sehr anschaulich. Er geht auch detailliert auf die Bedeutung der Sonneneinstrahlung ein: Bei bedecktem Himmel findet keine Fotosynthese statt, sodass keine Energie hergestellt und keine Fruktane angereichert werden können.

 

Der Fruktangehalt kann stark schwanken innerhalb von wenigen Stunden - er ist abhängig von der Witterung, Temperatur, von der Gräserzusammensetzung auf der Weide, der Düngung und der Wachstumsphase. Gestresstes, kurz abgefressenes Gras produziert mehr Fruktane als hochwachsendes. Und was für das eine Pferd schon eine fatale Fruktanmenge ist und einen Hufreheschub auslöst, macht dem anderen Pferd noch überhaupt nichts aus. Das macht die ganze Problematik so komplex. Also habe ich mal meine Literatur befragt, um allgemeingültige Empfehlungen zu finden.

 

Alle Autoren sind sich in Einem einig: Kälte+Sonne=Gefahr. Das heißt, wenn die Nacht kalt war und morgens die Sonne scheint, darf ein Rehepatient auf keinen Fall auf die Weide. Ein kalter, sonniger Morgen ist tabu. Das betrifft vor allem den Frühling und den Herbst. Allerdings geht die Definition von "kalt" bei den Autoren schon auseinander: Ingolf Bender nennt in seinem "Praxishandbuch Pferdegesundheit" Temperaturen von unter 10° Celsius als gefährlichen Bereich. Romo Schmidt, Ulrike Häusler-Naumburger und Thomas Dübbert sprechen im Buch "Hufrehe" dagegen von unter 6° C.  Wenn es tagsüber kalt bleibt und die Sonne weiter scheint, verbietet sich der Weidegang für Risikopferde. An kalten, sonnigen Tagen steigt der Fruktangehalt im Lauf des Tages noch an und die Gefahr wird sogar größer. Wird es aber wärmer, verwächst sich der Fruktangehalt im Laufe des Tages, denn die Pflanze kann Energie in Wachstum umsetzten. Laut Christina Fritz (Pferde fit füttern) ist unter diesen Bedingungen der niedrigste Fruktangehalt über die Mittagszeit.

 

Wir halten also fest, wie die Situation nach einer kalten Nacht ist:

  • Bei Kälte und Sonne wird die Situation im Laufe des Tages gefährlicher.
  • Bei Wärme und Sonne dagegen wird sie ungefährlicher.

Bingold rät generell, rehegefährdete Pferde eher bei Dunkelheit/Bewölkung und Wärme auf die Weide zu lassen. Bei Kälte sieht er die beste Zeit spät nachts oder sehr früh morgens, bevor die Sonne kommt. Die sicherste Weide ist nach seinen Angaben: "Früher Morgen nach einer Nacht mit Temperaturen deutlich über 5°C in einer Wachstumsphase des Grases mit gut ausgebildeten grünen Blättern." Die gefährlichste Weide dagegen: "Später Nachmittag oder Abend an einem sonnigen Tag, wenn das Gras vor oder in der Blüte steht, wenn das Gras stark gestresst ist oder zu jeder Tageszeit, wenn die Nachttemperaturen unter 5°C lagen.

 

Soweit, so gut. Wie aber ist jetzt die Situation bei warmem Wetter, im Sommer? Wann ist dann die sicherste Weidezeit? Darauf haben Schmidt/Häusler-Naumburger/Dübbert eine Antwort. Sie beschreiben in ihrem Buch "Hufrehe", dass die Fruktangehalte teilweise innerhalb eines Monats stark schwanken. In einer Grafik zeigen sie zwei verschiedene Bedingungen:

1. Juli, regnerisch, 19°C

2. Mai, sonnig, 28°C

Im regnerischen Juli wurden die höchsten Fruktanwerte im Tagesverlauf zwischen 16 und 0 Uhr gemessen. Im sonnigen Mai dagegen zwischen 10 und 16 Uhr. In beiden Fällen bleibt aber: Frühmorgens sind die Werte am niedrigsten, weil da noch keine Fotosynthese stattgefunden hat.

 

Was bedeutet das nun alles für das Weidemanagement auf dem Lehhaldehof?

  1. Im Sommer kommen die Pferde früh morgens auf die Weide. Dann sind auch die wenigsten Insekten unterwegs und es ist noch nicht zu warm.
  2. Im Frühjahr und Herbst kommen die Pferde an Tagen mit Temperaturen unter 6°C gar nicht auf die Weide - egal, ob die Sonne scheint oder nicht.
  3. An sonnigen Tagen nach Nachttemperaturen unter 6°C dürfen die Pferde ebenfalls nicht auf die Weide - unabhängig von der Tagestemperatur.
  4. Ist die Nacht kalt, der Tag aber bedeckt und zunehmend warm (10°C+), werden die Pferde über den Mittag rausgelassen - wenn die Witterung nicht sowieso schon die Weidesaison beendet hat.

Ob diese Regelungen für alle Pferde in der Gruppe gelten oder hier unterschieden wird zwischen Risiko- und Nicht-Risiko-Pferd, wird noch entschieden.

 

Zusätzlich werden weitere Punkte beachtet, um die Hufrehegefahr insgesamt niedrig zu halten:

  •  Die Pferde werden spät angeweidet. Der Fruktangehalt im Gras ist im Mai mit Abstand am höchsten. Denn dann ist das Wachstum in vollem Gang. Heike Bussang und Birgit van Damsen empfehlen in ihrem Buch "Wohlstandskrankheiten unserer Pferde", leichtfuttrige Pferde erst am Mitte Juni auf die Weide zu lassen. Das erscheint mir sehr spät und ist wohl immer auch abhängig von der Vegetation. Klar ist, dass gegen Ende der Blüte die Rehegefahr stark abnimmt.
  • Die Pferde werden langsam angeweidet. Die Weidezeit wird täglich langsam von wenigen Minuten zu Beginn an gesteigert.
  • Die Weidezeit wird eingeschränkt. Alle Pferde kommen täglich nur zwei bis maximal vier Stunden auf die Weide.
  • Risikokandidaten können zusätzlich eine Fressbremse tragen. Das Aufsetzen und Abnehmen wird von uns übernommen.
  • Es werden fruktanarme Saatgutmischungen verwendet. Bei Nachsaat verwenden wir Mischungen mit geringem Weidelgras- und Kleeanteil.
  • Düngung mit Stickstoff. Der Stickstoff fördert das Wachstum erwünschter Gräser und unerdrückt Klee.

 

Mit diesem Regelwerk sind wir hoffentlich gut gewappnet gegen das Risiko. Für mich gilt: Im Zweifel lieber einmal weniger Weidegang, als die Gefahr eines Schubes einzugehen.

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